Ich habe bereits darüber berichtet, dass in der Vergangenheit (auch nach der Rechtsprechung des BGH – als höchsten Zivilgerichts) unter dem Kapitel “Eigenkapitalersatz” in Fällen der sog. “Doppelbesicherung” einer darlehensgebenden Bank mit Gesellschaftssicherheit (z. B. Globalzession oder Grundpfandrecht betr. Gewerbeimmobilie) und zugleich Gesellschaftersicherheit (idR Bürgschaft eines Gesellschafters) weitreichende Ansprüche des Insolvenzverwalters gegen den aus der Bürgschaft durch Inanspruchnahme der Gesellschaftssicherheit resultierende „freiwerdenden“ Gesellschafter resultierten.
Haftungsfalle Gesellschafterbürgschaft?
Nun – erfreulicherweise sind aufgrund der Änderung/Erleichterung im Gesellschaftsrecht dank des MoMiG (zum 01.11.2008) sämtliche dieser Eigenkapitalersatz-Regeln abgeschafft worden; all die möglichen insolvenzspezifischen Ansprüche laufen seitdem ausschließlich unter der (gesetzlich klar geregelten) Rubrik der Insolvenzanfechtung aus §§ 129 ff. InsO. Der Gesetzgeber wollte damit die ausufernde Rechtsprechung (sog. Rechtsprechungsregeln) auch zur Gesellschafterhaftung entwirren und auf eine gesetzlich klare Grundlage stellen.
Für die Frage der Haftung von Gesellschaftern bei Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen oder einem „Freiwerden“ aus von Gesellschaftern gewährten Bürgschaften für ein Darlehen an das Unternehmen ist seit der Gesetzesänderung durch das MoMiG ausschließlich § 135 InsO anzuwenden – in Verbindung mit § 129 InsO als Grundtatbestand aller Anfechtungsmöglichkeiten:
Wie ich bereits in vielen Fällen erfolgreich argumentiert habe, setzt die Anfechtung nach § 135 InsO eine Gläubigerbenachteiligung und eine (anzufechtende) Rechtshandlung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus: Beides ist nach meiner rechtlichen Bewertung gerade nicht der Fall, wenn ein Insolvenzverwalter an die absonderungsberechtigte Bank (wegen einer Globalzession oder einem Grundpfandrecht nach Verwertung einer Gewerbeimmobilie) auskehrt und hierdurch der Gesellschafter aus der parallel gewährten Bürgschaft entlastet wird. Ich habe jedoch bereits ausgeführt, dass in derartigen Fällen Gericht oft wegen einer „Regelungslücke“ sich über gesetzliche Regelungen hinwegsetzen können.
Jüngst hat das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 29.12.2010 Az.: I-8 U 85/10) entschieden:
Leitsätze
- 1. Sind zugunsten des Gläubigers einer GmbH Sicherungsrechte an Vermögensgegenständen der Gesellschaft und wegen derselben Forderung Sicherheiten durch einen Gesellschafter bestellt worden, kann der Insolvenzverwalter über das Vermögen dieser Gesellschaft nach Verwertung der dem Absonderungsrecht unterliegenden Gegenstände und Auskehr des Erlöses an den Gläubiger nicht mit Erfolg die Insolvenzanfechtung gegenüber dem Gesellschafter mit der Begründung geltend machen, durch die Tilgung der Gesellschaftsschuld sei die Sicherheit entsprechend frei geworden. (amtlicher Leitsatz)
- 2. Insbesondere ist eine Anfechtung nach § 135 Abs. 2 InsO in der seit dem 1. 11. 2008 geltenden Fassung nicht möglich, da die maßgebliche Rechtshandlung entgegen § 129 Abs. 1 InsO nicht vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurde. (amtlicher Leitsatz)
- 3. § 135 Abs. 2 InsO n. F. ist auf die vorstehend dargestellte Situation auch nicht über den Wortlaut des § 129 Abs. 1 InsO hinaus entsprechend anzuwenden. (amtlicher Leitsatz)
Normenkette: §§ 129 Abs. 1, 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO
Freiwerden aus der Bürgschaftsschuld
Die Revision ist jedoch zugelassen worden und der BGH muss jetzt in dieser für die Praxis sehr relevante Fallkonstellation entscheiden. Zu hoffen ist eine Bestätigung des obergerichtlichen Urteils, da eine Annahme der Haftung von Gesellschaftern in diesen Fällen mangels Rechtshandlung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens und mangels Gläubigerbenachteiligung (die Gesellschafts-Sicherheit eröffnete von vornherein ein Absonderungsrecht) mE nach den klaren Vorgaben der §§ 129 InsO contra legem wäre und eine derartige (wiederholte) Ausuferung nach Zielsetzung des Gesetzgebers gerade mit dem MoMiG eingedämmt werden sollte.
Update:
Inzwischen hat im Revisionsverfahren der Bundesgerichtshof entschieden:
Wird die am Gesellschaftsvermögen und am Vermögen eines Gesellschafters gesicherte Forderung eines Darlehensgläubigers nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft durch Verwertung der Gesellschaftssicherheit befriedigt, ist der Gesellschafter zur Erstattung des an den Gläubiger ausgekehrten Betrages zur Insolvenzmasse verpflichtet.
BGH, Urteil vom 1. 12. 2011 – IX ZR 11/11; OLG Hamm (Lexetius.com/2011,6040)
Es bleibt also nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in den im Leitsatz beschriebenen Fällen dem Grunde nach bei einer Erstattungspflicht des Gesellschafters. Für Vertretung im Rahmen der Insolvenzverwaltung, Vorbereitung hierzu, optimale Prozessvertretung und Verhandlungsführung nehmen Sie bitte einfach Kontakt auf.
Die Insolvenzanfechtung wegen einer Bürgschaft des Gesellschafters ist sehr weitreichend nach § 135 Insolvenzordnung – es gibt aber in vielen Fällen Auswege aus der Haftungsfalle für einen Gesellschafter einer insolventen GmbH. Wichtig ist die vollständige Klärung der Hintergründe im Insolvenzverfahren – also dem Insolvenzverwalter „in die Karten zu sehen“. Nach der Einsicht entwickle ich in diesen Fällen ausgehend von der persönlichen Situation die Verteidigungsstrategie oder ein Regulierungskonzept.
Auch den Insolvenzverwaltern und Banken ist nicht an einer der GmbH-Insolvenz folgenden Privat-Insolvenz der Gesellschafter gelegen – und nach meiner Erfahrung und rechtlicher Bewertung gibt es in vielen Fällen Lösungen außerhalb von langwierigen und teuren Prozessen.
Bürgschaft Haftung Gesellschafter
Sehen sie denn nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs noch Chancen aus der Insolvenzanfechtung wegen der Bürgschaft „herauszukommen“?Gibt es nach Ihrer Erfahrung Lösungen ohne Anfechtung/Prozess oder sind bei GmbH-Insolvenzen bei Bürgschaft immer Privat-Insolvenzen der Gesellschafter die Folge?
„Altfälle“ – also Fälle vor Abschaffung der „Eigenkapitalersatz-Regeln“: siehe unter:
https://insolvenz-news.de/wordpress/bgh-haftung-gesellschafter-buergschaft-geschaeftsfuehrer-insolvenz-buergschaft-geschaeftsfuehrerhaftung-eigenkapitalersatz
Ich vertrete grundsätzlich Ihre Ansicht.
Dennoch gilt wegen der Anwendbarkeit der neuen InsO-Vorschriften auf Altfälle dennoch, dass die Gesellschafter haften sollen. Oder sehen Sie das etwa hinsichtlich der Altfälle gleich?